Für einen den ich liebe, doch ich weiß nicht wo er ist

Der Winter kam, die Nächte wurden kälter. Ich war mir nicht so ganz sicher, was ich an ihm fand. Da war irgendwie Zuneigung, da war irgendwie Gefühl. Doch ich war mir nicht so ganz sicher. Und so lief unser Leben so dahin. Bis zu diesem Abend, bis zu dieser Nacht. Wo ich ihn, Tom, verloren und die Liebe entdeckt habe. Wir waren nun schon seit einem Jahr zusammen, lebten in unserer eigenen kleinen Wohnung mit unseren eigenen, billigen Möbeln. Es war zuerst nicht die wahre Liebe gewesen. Es war mehr eine Art Torschluß Panik, bei uns beiden. Irgendwann kommt das Alter wo die Hormone verrückt spielen, wo man glaubt niemanden mehr mit zu bekommen. In genau so einer Laune kamen wir zusammen. Nach einem viertel Jahr flog er bei seinen Eltern aus der Wohnung und so zogen wir zusammen. Anfangs war es ein herrliche Zeit. Voller Romantik, Abenteuer und viel Spaß. Ab und zu gab es mal Streß oder Ärger. Kurz, alles war in bester Ordnung. Doch mit der Zeit wurde der Streß größer. Die Streits häuften sich und er wurde immer komischer. Zog sich immer mehr in sich zurück und las alte seltsame Bücher. Irgendwann war ich mir dann sicher, daß ich ihn nie geliebt hatte, daß das alles nur Einbildung war. Und so kam eines zum anderen. Ich traf einen Freund aus alten Tagen, ging mit ihm ab und zu mal aus und konnte wieder lachen. Dann eines Abends, zuviel Alkohol, zuviel gute Laune, gingen wir zusammen ins Bett. Das war der Anfang vom Ende. Ich weiß nicht wie, aber Tom hatte es irgendwie erfahren. Heute bin ich der Meinung, er hatte es gespürt, so wie er vieles gespürt hatte. – Er stellte mich zur Rede. Erst versuchte ich zu leugnen, aber es hatte keinen Sinn. Die Stimmung war scheiße und durch den Alkohol war ich enthemmt und so schrie ich ihn an und sagte Dinge die ich besser nicht gesagt hätte. Ich weiß nicht mehr was ich ihm alles gesagt hatte, ich kann mich nur noch an eines erinnern: Seinen Blick als er zu mir sagte, „Aber Claudia, ich liebe dich doch“. Dieser Blick war voller Angst und Hoffnung zugleich. Doch ich blöde Ziege habe nur gelacht und bin zurück zu Bernd gegangen. Die nächste Zeit war schrecklich. Ich konnte nicht sofort zurück zu meinen Eltern und dort einziehen und ich konnte schon gar nicht bei Bernd einziehen. So blieb ich mit Tom in einer Wohnung. Bernd kam oft zu Besuch. Immer wenn er Auftauchte war Tom verschwunden, in sein Zimmer oder hinaus in die Nacht. Da wir noch zusammen in einer Wohnung lebten lies es sich nicht vermeiden, daß wir uns öfter sahen. Doch es wurden kaum noch Worte zwischen uns gewechselt. Nur einmal, es war kurz vor diesem Abend. Da kam er zu mir. Das Gesicht irgendwie versteinert, die Augen leer. „Claudia, was ist los mit uns ?“, fragte er mit trauriger Stimme. „Wo ist all die Liebe hin, wo ist unsere Zukunft ??“ Nun, ich habe auf all seine Fragen nicht geantwortet, habe starr zum Fernseher gesehen. Ich hätte auch nicht gewußt was ich sagen sollte. Er blieb noch einige Minuten in der Tür stehen und sah mich mit versteinerter Miene an. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Es ist Zeit zu gehen. Die Drachen rufen meinen Namen“ Ich verstand es damals nicht. Jetzt habe ich es verstanden, einen Tag später wußte ich was er gemeint hatte. Am nächsten Tag rief Bernd an, ob er heute Abend bei mir mit ein paar Freunden vorbei kommen dürfte, er hätte etwas wirklich aufregendes für mich. Ich sagte ja. Heute weiß ich nicht, ob alles so gekommen wäre, wenn ich nein gesagt hätte. Ich glaube schon, aber der Zweifel nagt trotzdem in mir. Und so kam dieser Abend der mein Leben, mein Denken so beeinflussen sollte immer näher. Bernd kam mit 2 Freunden und einer Frau. Sie war so um die 50. „Sie ist ein Medium“, erzählte Bernd mir. „Wir werden heute versuchen Kontakt mit einem Geist aufzunehmen.“ Mir war das alles irgendwie nicht geheuer, aber irgendwie fehlte mir auch der Mut dagegen aufzubegehren. So setzten wir uns alle im Kreis auf den Boden. Kerzen wurden aufgestellt und die Frau breitete allerlei eigenartige Dinge in der Mitte aus. Wir nahmen uns bei den Händen und die Frau begann mit einer Art Sing Sang. Ich fand das alles ziemlich albern, doch konnte ich mich der Atmosphäre nicht entziehen. Die Luft schien vor Magie zu knistern. Die Frau hörte mit ihrem Gesinge auf und sprach in die Mitte des Raumes: „Ist jemand hier in der Nähe, komm und besuche uns, wir warten auf dich.“ Niemand antwortete, klar, genau das hatte ich erwartet. „Ich spüre etwas“, sagte da die Frau. „Es ist stark, es kommt auf uns zu“. Sie verstummte und verfiel wieder in ihren Sing Sang. Irgendwie konnte ich spüren, daß sich etwas tat. Und da sahen wir es. In der Dunkelheit des Hintergrundes war auf einmal ein Licht. Erst schwach. Doch es pulsierte und wurde stärker. Jetzt sah ich es deutlich, es war ein Tor und hinter dem Tor war … Zuerst konnte man es nicht klar erkennen, sah nur verschwommenes grün. Doch bald machte ich eine Wiese aus. Geräusche drangen an mein Ohr. Das Summen der Frau war längst verstummt. Es war ein kurzer melodischer Gesang., nein, mehr ein kurzer Ausschnitt aus einem Gesang. Es klang wunderschön. Doch die Quelle dieser Töne war nicht zu erkennen. Das heißt noch nicht. Der Blick durch das Tor nahm mich voll in Besitz und die Anderen wohl auch. Die Frau, ich weiß bis heute ihren Namen nicht, stand auf. Sie hatte wohl die größte Erfahrung mit solchen Phänomenen und war nicht so gelähmt durch sie wie wir anderen. Sie schritt genau auf dieser Tor zu, streckte die Hand nach ihm aus und zog sie zu Tode erschrocken sofort zurück. Ein Drache, ja eines von diesen Fabeltieren die es nicht gibt, nicht geben soll, war erschienen und schnappte nach ihr. Ich weiß nicht mehr ob sie geschrien hat, wir alle wurden abgelenkt, genau in diesem Augenblick. Die Tür zu dem Zimmer indem wir saßen öffnete sich. Alle Augen richteten sich darauf. Tom trat ein, schloß die Tür und ging geradewegs auf das magische Tor zu. Der Drache dahinter schien auf ihn zu warten. Groß, grün und gräßlich. Genauso wie man ihn aus den ganzen Schauergeschichten kennt. Wo er dann Jungfrauen frißt und tapfere Ritter tötet. Die Frau, die noch immer am Tor stand ging zwei Schritte zur Seite. Sie schien Tom Platz machen zu wollen. Was heißt hier es schien so, sie machte ihm Platz. Ohne sich umzudrehen oder zu zögern trat er hindurch und der Drache machte keine Anstalten nach ihm zu schnappen oder ihn gar zu töten. Statt dessen senkte der mächtige Drachen sein Haupt und Tom sprang mit einem Satz auf den Rücken des Tieres. (Kann man sowas überhaupt Tier nennen ???) Der Drache wollte sich gerade erheben und davon fliegen, da schaute Tom sich nach mir um. Er sah mir einfach nur in die Augen und lächelte. Ich sah den Drachen starten, sah ihn Fliegen, hörte seinen Gesang und sah das Tor wie es schwächer wurde. Und bevor auch nur einer von uns etwas tun konnte war es verschwunden. Es gab natürlich heftige Diskussionen und wir versuchten das Tor erneut zu öffnen, aber es gelang uns nicht. Wie es uns auch in den anderen Nächte nicht gelang. Das ist nun schon ein Jahr her. Ich lebe allein. Bernd war nichts für mich und eigentlich sehne ich mich nach Tom. Denke häufig an die guten Zeiten mit ihm, an die Fehler die wir begangen haben, denke an sein Verschwinden. Und jedesmal schreit in mir eine Stimme, jedesmal schreit sie das Selbe, immer den selben Wortlaut, immer „Tom, ich liebe dich. Wo bist du“. Doch es kommt keine Antwort. Verloren. Warum habe ich die Liebe erst erkannt als es schon zu spät war ?? Warum habe ich damals nicht einmal auf mein Gefühl gelauscht, nicht das was einem immer durch den Kopf geht. Ich meine diese leise feine Stimme die tiefer sitzt, die man so gerne überhört, die viele nie gehört haben. Warum ??? Und Nachts liege ich oft wach, und dann lausche ich dem Gesang der Drachen. Irgendwann kommt er mich holen, oder ich finde den Schlüssel zu seiner Welt. Hoffnung ist das, was mich am Leben hält.

Hagen den 27.12.1994

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