Sterne

Die Nacht ist dunkel und kalt. Ein leichter Wind weht durch die Haare. Fahl beleuchtet der volle Mond das Gesicht, die Augen blicken starr zu den Sternen. Es sind die Sterne, die ihn immer so an sie erinnern. So schön, so klar, so hell und doch unerreichbar. Keine Chance für einen einsamen Menschen dorthin zu gelangen, keine Chance für ihn. Er kniet sich nieder, in das feuchte Gras, die Arme erhoben. Versucht die Sterne zu greifen, doch sie rinnen durch seine Finger wie Sand. Sie blinken zwischen seinen Fingern, blinken wie ihre Augen. Ihre Augen, er sieht sie am Himmel zwischen den Sternen blinken. Er erinnert sich noch genau daran, an das erste mal, als er diese Augen sah, so nah vor den seinen. Spürt noch den Geruch ihrer Haut, ihrer Haare. Damals an diesem denkwürdigen Tag. Lange ist es her, doch ist ihm, als war es erst Gestern. In seinen Ohren klingen noch ihre Worte, „ich liebe dich.“ Das Gesicht hat sich in sein Gehirn gebrannt, unauslöschlich. So sitzt er da auf der Wiese. Durch die Nacht dringt das Heulen eines Wolfes, fern, aus den Bergen. So viel Einsamkeit in diesem Ruf. Sein Blick richtet sich auf die Berge. Ja, er kann die Wölfe gut verstehen. Auch er möchte schreien, in die Nacht hinaus. Doch kein Ton entrinnt seiner Kehle. Es würde nichts nutzen, nichts würde ihn ihr näher bringen. Wie die Sterne so unerreichbar für ihn. Seine Gedanken schweifen ab. Sie liegt in seinen Armen. Zärtlich streicht er über ihr Haar, ihr Lächeln fasziniert. Sanft berühren sich die Lippen, Hände streichen über weiche Haut. Spürt das bekannte Kribbeln, überall in seinem Körper. Immer dieses Gefühl, immer wenn sie sich sehen. Die Wind nimmt zu, holt ihn aus seinen Träumen. Hier ist niemand zum Schmusen. Wenn er aufblickt, kann er sie sehen. Doch berühren kann er sie nicht. Schon soviel erfolglose Versuche sich von ihr zu befreien. Die einzige wirkliche Befreiung wäre der Tod. Doch diesen Weg geht er nicht. Zu lang und zu kalt, ein Ausweg ohne Wiederkehr. Hatte schon so oft versucht sie, sich, seine Liebe zu vergessen. Hatte sich klar gemacht, daß sie unerreichbar ist, daß er sie zwar sehen aber nicht erreichen kann, je schneller man läuft um so weiter entfernt sie sich. Und immer wenn man sie fast vergessen hat, blickt man aus Versehen zum Himmel und sieht direkt in ihre strahlenden Augen. Und dann mit einem mal ist sie wieder da. Ist alles Vergessene wieder da. Spukt sie einem wieder durch die Träume. Sieht sie überall, im Supermarkt an der Kasse, im Gedränge im Bus, auf der Straße, hinter jedem Fenster. Alles erinnert an sie, alles sieht ihr so ähnlich. Und mit den Erinnerungen kommt der Schmerz, das Wissen um die Entfernung. Diese Nacht wird anders, anders als alle tausend davor. Aus den Sternen löst sich ein Licht, wird heller, größer. Kommt direkt auf ihn zu. Kann seinen Augen kaum glauben, neben ihm im Gras steht ein glänzendes Raumschiff, die Tür weit offen … auf dem Weg zu den Sternen. Wunder kann nur die Liebe vollbringen.

Paderborn, 19.01.1995

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